Gedankengeflüster

Alles geht vorbei

Wie schön, dass ich meine Mama noch fragen kann, wie es früher so war.
Geboren ist sie während des 2. Weltkrieges, ein Kleinkind war sie also noch, als die Sirenen heulten und die Oma dann ihre drei Kinder an der Hand genommen hat, in den feuchten, kalten Keller sind sie geflüchtet. Da lagen zwei Matratzen am Boden und dort haben sie sich die ganze Nacht verschanzt. Ohne Papa an der Seite, der war ja im Krieg.
Ihre Erinnerungen sind schon etwas verblasst, sie war ja noch sehr klein. Aber sie weiß noch, dass sie gefroren hat und dass es feucht, finster und kalt war.
Sie kann sich auch noch erinnern, als dann die Stadtbewohner, die aufs Land zu den Bauern betteln kamen, an der Tür geklopft haben. Sie knieten dann auf den Stufen und mit karger Bekleidung und zittrigen Händen baten sie um „etwas Milch für die Kinder, und vielleicht ein Stück Brot“. Die Oma hat immer gegeben! Diese Menschen nach dem Krieg hatten Hunger und waren arm. Die Wirtschaft lag am Boden, alles zerstört, viele Arbeitslose.
„Alles geht vorbei“, hat meine Oma immer gesagt. „Irgendwann werden wir wieder lachen können und Freude haben.“

Erinnerungen einer Kindheit. Meine Mama ist heuer 78 Jahre geworden, sie ist fit und gesund, erfreut sich an täglichen Spaziergängen, ist gesellig und Familie bedeutet ihr alles. Nachdem der Papa vor zwei Jahren von uns gegangen ist, hat Mama nur noch ihre Kinder, Schwiegerkinder, Enkelkinder und Urenkel. Natürlich hätte sie gerne Ostern mit uns gefeiert. Es ist seit jeher Brauch bei uns, dass wir uns alle an den Feiertagen am großen Esstisch von Mama treffen, der dann auch reich gedeckt ist – die Mama kocht ganz besonders fein!
Ist es heuer an Weihnachten möglich, dass wir alle wieder beisammen sitzen?
Wir wissen es nicht.

Aber wir wissen: Die Krankenhäuser, vor allem die Intensivstationen, sind übervoll. Das Pflegepersonal (in unserer Verwandtschaft gibt es zwei davon) stößt an ihre Grenzen. Wir wissen auch, dass es Menschen zu schützen gilt.

Und was wir auch wissen: Wir müssen nicht in kalte, feuchte, dunkle Keller fliehen während eines Lockdowns. Wir müssen nicht hungern, wie die Menschen nach / während dem Krieg, die keinen Bauernhof hatten um sich selbst zu versorgen. Wir müssen keine Angst haben, dass Bomben auf uns fallen oder dass geliebte Menschen nicht mehr heimkommen.

Nein, wir dürfen in warmen Wohnzimmern vorm Fernseher sitzen, in kuscheligen, weichen Betten liegen, haben volle Kühlschränke und vielleicht auch Tiefkühltruhen, dürfen auch einkaufen fahren für das Nötigste, haben genug Kleidung und Schuhe, können unsere Liebsten am Telefon hören oder mit der Familie gemeinsam Spaziergänge im Freien machen.
Wie war das mit dem Eingeschränkt-Sein? Freiheitsberaubung? Was würde dazu meine Oma sagen? Mein Schwiegervater, der zwei Jahre in Gefangenschaft im Freien ausharren musste? Was würden sie wohl alle zu unserem Jammern, Schimpfen, zu unseren gegenseitigen Beleidigungen sagen….? Ich schäme mich direkt, wenn ich daran denke.

„Alles geht vorbei“, hat meine Oma immer gesagt.

9 Gedanken zu „Alles geht vorbei“

    1. Ja liebe Manuela, meine Mam‘ Jg 22 hat mir auch immer von der Not in ihren jungen Jahren erzählt. Sie war „Dirn“ und Köchin in einem sogenannten guten Haushalt die auch Landwirtschaft hatten. Die „g’nä Frau war für alle Armen in der Gemeinde ein Segen.
      Während des Krieges wurde Hausnah ein zusätzlicher Acker angelegt um Gemüse zuhaben für die gar nichts hatten. Mam hat dies zu ihrer vielen Arbeit zusätzlich gemacht.
      Dafür hat sie zu Weihnachten von der „gnFrau“ ein Paar extra Schuhe vom Schuster im Ort bekommen. Ich kann mich noch an ein solches Paar erinnern. Auch wenn diese im Schuhkastl im letzten Eck standen brachte es meine Mam nicht übers Herz sie im Küchenofen zu verbrennen. Mit diesem Wissen um die Kostbarkeit der normalen Dinge sehe ich deine Zeilen WIR also alle sind gefordert Rücksicht auf unser Gesellschaft zu nehmen. Ein einschneidender Schritt aber NOTWENDIG
      DANKE für die Anregung, durch den Impuls in meiner Schatzkammer meiner Jugend zu sinnieren💞

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      1. Liebe Hedwig, ich danke dir fürs Teilen deiner Gedanken. Ich sehe das auch so. Es ist ein vergleichsweise kurzfristiges, überschaubares Übel, mal daheim zu bleiben und Rücksicht zu nehmen. Natürlich gibt es mit Corona (hach, ich mag das Wort schon nimma hören 😦 ) auch noch andere Nöte (wie Arbeitslosigkeit und eine Wirtschaft, die sich wohl länger nicht „erfangen“ wird) – wir alle sind betroffen! Doch – wir sitzen noch immer in warmen Räumen bei hoffentlich genügend Essen und mit guten Schuhen an den Füßen, wenn wir uns die Beine vertreten wollen. – Danke nochmals für die Geschichte von deiner Mam! Habe gerne von ihr gelesen ❤ – Manuela

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    2. Liebe Sonja, natürlich ist es anders diesmal und eher schlecht vergleichbar. Mich wundern und bestürzen nur zunehmend die unterschiedlichsten Reaktionen der „Gesellschaft“ auf die Lockdown Maßnahmen. Beleidigende, abwertende, wütende Worte gegen die Regierungen und Verantwortlichen weltweit. Ein Affront muss das sein für die Menschen, die sich abmühen in den Spitälern und rundherum (Lebensmittelhandel, Apotheken, Behörden…). Gruß – Manuela

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  1. Liebe Manuela, danke für deinen wichtigen Beitrag. Ich sehe es genauso wie du. Wir können trotz aller Umstände dankbar sein, dass wir alles haben. Verzicht tut weh, sicher, aber es wird auch wieder bessere Zeiten geben.
    Liebe Grüße, Susanne

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  2. Liebe Manuela. Wie treffend deine Geschichte ist und wie wahr.
    Du weißt ja, auch ich bin von der Nachkriegsgeneration habe in meiner Kindheit viele Einschränkungen gehabt. Meine Eltern haben nach dem Krieg vieles aufgebaut und für Kinder war da wenig Zeit um mit ihnen zu lernen. Auch auf die geliebte Lieblingsspeise und Lieblingskleidung musste ich warten oder verzichten. Hat mir nicht geschadet. Glaube so kann man jetzt auch leichter auf was verzichten, wenn man es als Kind schon gelernt hat.
    Freuen uns natürlich auch wieder auf soziale Kontakte, aber wie deine Oma schon immer sagte: „Alles geht vorbei“
    Wäre schön, wenn es möglich wär, deine Geschichte bei den vielen unnötigen Demos der Maßnahmengegner, vortragen zu können. Vielleicht fangen die Demonstranten an darüber nachzudenken.
    Danke für deine schönen Kurzgeschichten.
    lg Christa

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  3. Vielen Dank für diese Zeilen. Es ist zwar nicht meine Art mich mit anderem zu vergleichen um eigene Misslagen zu relativieren, doch ist es in Zeiten wie diesen auch Mal notwendig wieder zu realisieren was gerade abgeht. Sich daran zu erinnern was unsere Vor- und Vorvor-Generation durchmachen müsste verschafft uns die Möglichkeit etwas klarer zu sehen. Wo ich mir aber auch ganz sicher bin ist, dass wir genau aus diesen Vorgeschichten ein Verhalten zu Tage legen. Es würde uns sozusagen in die Wiege gelegt, uns beigebracht, uns weitergegeben. Wenn wir das erkennen haben wir die Chance daran zu arbeiten und Lasten abzulegen, die nicht da sind.

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  4. Tja, die anderen … Die ihre Luxuswelt bedroht sehen! Mal abgesehen davon, dass ich das nicht verstehen kann, auch und vor allem nicht Demos gegen eine „Freiheitsberaubung“ wie Masken tragen, frage ich mich, warum es „anständige“ Menschen, wie Dich und mich, nicht kalt lässt?
    Warum lassen wir die Dummen nicht ihre Dummheit machen, sie sind auf dem Holzweg!
    Ich nenne das das „Pharisäersyndrom“: Wir, die alles richtig machen, wir, die mit Einsicht, Besonnenheit und Blick für das Positive der Situation, wir, die wir uns selbstverständlich beschränken können, „brauchen“ trotzdem die Störer, die Unvernünftigen – um uns unserer Sache … sicher zu sein?
    Ich weiß es nicht.
    Aber lieber in diesen Zeiten „Pharisäer“ als Fremdgefährder. O Mann, wie ich im Supermarkt an der Kasse immer noch wütend werde, wenn man bei den Abständen schlampig wird! Das könnte fahrlässige Tötung werden …

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