Wurzelstöcke und Baumkronen

Geh Resi, rück a bisserl rüber!

Nicht einmal eine befestigte Straße führte zum Hof meiner Tante und meines Onkels, mit den Augen eines Kindes war das Haus irgendwo im Nirgendwo. Ein kleines Wohnhaus mit angrenzendem Stallgebäude und gegenüber gab es da noch auf einer Anhöhe einen Wagenschuppen für Traktor und Geräte.

Tante Mariedl, so wurde sie von allen in der Verwandtschaft liebevoll genannt, hat mich und meinen Cousin manchmal in den Sommerferien aufgenommen, wenn unsere Eltern arbeiten mussten. Sie war eine kleine, rundliche Frau mit funkelnden Augen und war stets gut gelaunt. Wenn sie mal aus erziehungstechnischen Gründen einen bösen Blick versuchte, misslang ihr das absichtlich sehr gekonnt, denn eigentlich hatte sie immer einen Scherz auf den Lippen. Was sie besonders auszeichnete: sie liebte Tiere über alles und diese Erfahrung prägt mich heute noch. Ihre durch viel Arbeit schrundigen Hände sehe ich noch vor mir, beim Kühe melken. Dabei saß sie auf einem kleinen Melkschemel, ihren Kopf, mit einem im Nacken gebundenen Tuch bedeckt, stemmte sie seitlich gegen den Bauch der jeweiligen Kuh, die gerade gemolken wurde. Sie hat immer mit den Kühen gesprochen während des Melkens: „Geh, Resi, rück a bisserl rüber, Resi, heut stellst dich aber wieder an!“, oder sie hat gesungen bei der Arbeit. Im Stall war es dunkel und drückend heiß und die Fliegen, Mücken und Gelsen konnten zur wirklichen Plage werden.

Nach der Morgenarbeit hat Tante Mariedl Frühstück gemacht. Es gab heiße Milch und ein schon etwas hartes Brot vom Vortag mit selbstgerührter Butter und Honig vom Nachbarn drauf. Wenn mein Cousin und ich fertig waren, hat die Tante die Jausenbretter und das Besteck mit ihrer Schürze, welche sie den ganzen Tag von früh bis spät abends getragen hat, abgewischt und in die Tischlade zurück gelegt. Anschließend gingen wir mit Onkel Hans einen beschwerlichen Schotterweg zur Hauptstraße, er zog ein Holzwägelchen mit den gefüllten großen Milchkannen hinten nach. An der Hauptstraße war eine Sammelstelle, an der die Molkerei die Milch abholte. Später halfen mein Cousin und ich beim Eier abnehmen. Die Hühner am Hof legten die Eier meist im Heuboden verstreut ab, es war immer ziemlich lustig auf Suche zu gehen und gemeinsam mit der Tante machten wir einen Wettbewerb, wer wohl die meisten Eier fand.

Auch bei der Heuernte oder beim Eingrasen haben wir geholfen, so gut das halt ging, wir waren immerhin noch keine zehn Jahre alt.
Das Mittagessen und auch die Jause waren bescheidene Mahlzeiten, die wir aber alle mit Genuss und hungrig von den vielen Stunden an der frischen Luft verschlungen haben. Es gab Geselchtes, etwas Gemüse aus dem Garten, Eier in allen Variationen und Molkereiprodukte natürlich.

Es waren extrem lustige und schöne Tage bei Tante Mariedl und Onkel Hans. Sie waren bescheidene, einfache und behutsame Leute, die sich nie einen Luxus oder Urlaub gegönnt haben. Ich habe in meinem ganzen Leben keine so glückliche Frau mehr getroffen, die mit ihrem Mann und den Hühnern, Kühen, Katzen und dem Hund ein so zufriedenes Leben führte. Nie, kein einziges Mal, hab ich von dem Ehepaar ein lautes Wort gehört, sie waren sich bis zum Tod meiner Tante sehr liebevoll verbunden. Und wenn es jemandem in der Verwandtschaft einmal nicht so gut ging, haben sie ausgeholfen, so gut es ihnen möglich war. Mein Vater hat seiner Schwester Mariedl das nie vergessen.

In Zeiten von Technik, Medien, virtuellen Welten, Umweltverschmutzung, Stress und Corona wünsche ich oft, Tante Mariedl wäre noch unter uns.

Bild: https://www.fotocommunity.de/photo/leben-auf-dem-bauernhof-als-anschauu-elisabeth-hase/16443965

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